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Monat: November 2021

Kommentar: Wie das Dorf zur Stadt wird….

Die Ausgangslage – das Einfügungsgebot

Die Anwendung des Einfügungsgebots nach §34 BauGB führt in dem unbeplanten Innenbereich Dingdens bereits seit einiger Zeit zur Gentrifizierung der Lebensverhältnisse. Die Bürgermeisterkoalition aus SPD, Grünen, USD und FDP hatte sich in der 8. Sitzung des Rates(07/10/2021) mit ihrer Mehrheit gegen die Aufstellung von Bebauungsplänen entschieden. Das betrifft erst einmal nur die beiden Wohngebiete, die zur Diskussion standen. Die Entscheidung hat aber auch Signalwirkung für alle weiteren Gebiete, in denen alte Bebauungspläne gekippt werden oder in denen es nie welche gegeben hat. Zur Diskussion stehen im Moment 1. das Wohngebiet Nr. BO 2 „Am Friedhof“ in Dingden als auch 2. das Wohngebiet Bocholter Straße, Sachsenstraße, Berkenhegge, Kondringstraße und Paßter Weg. 

Zukünftig entscheidet die Verwaltung dort gemäß dem Einfügungsgebot §34 BauGB im Einzelfall. Die Ermessensspielräume sind natürlich größer als bei einem Bebauungsplan. Dazu hat die Verwaltung Parameter aus der vorhandenen Bebauung für zukünftige Entscheidungen abgeleitet und stellt sie nun im nächsten Planungsausschuss zur Abstimmung. Schauen wir uns den Vorschlag mal genauer an.

Die Entscheidungsparameter

Also die „Art der Nutzung“ soll vorwiegend dem Wohnen dienen. Eine genauere Bestimmung wird hier nicht vorgenommen. Nach dieser Aussage handelt es sich bei den betroffenen Wohngebieten wohl nicht um „reine Wohngebiete“, sondern um „allgemeine Wohngebiete“ nach der Baunutzungsverordnung. Der Charakter als Wohngebiet bleibt zwar erhalten, doch es gibt damit Spielräume für zukünftige Entwicklungen. Da kann dann ausnahmsweise  auch mal eine Nutzung möglich werden, die bisher noch nicht vorhanden ist wie zum Beispiel für ein Hotel oder eine Tankstelle.

Bei der „Bauweise“ werden Einzel- und Doppelhäuser genannt. Hinter dem Wort „Einzelhaus“ kann sich natürlich auch ein Haus mit mehreren Wohneinheiten verbergen, solange es einen Eingang hat. Das sehen wir ja bereits in diesen Wohngebieten. Und gerade diese Entwicklung war ja der Stein des Anstoßes für einige BürgerInnen.

Aber was ist mit den „überbaubaren Flächen“? Es gibt Reihenhäuser im 1. Bereich? Wird jetzt dort in Zukunft eine geschlossenen Bauweise überall möglich sein? Und was ist mit einer freistehenden Bebauung in 2. Reihe? Soll sie jetzt für den gesamten 2. Bereich ermöglicht werden? Das sind wichtige Fragen, die in der Beschlussvorlage offen gelassen werden.

Zum „Maß der Nutzung“ gehören mehrere Aspekte. Fangen wir mit der „Geschossigkeit“ an. Also, die Eingeschossigkeit gemäß BauO NRW entspricht zwar der Situation, aber letztendlich sagt der rechtlich definierte Begriff des Vollgeschosses nichts über die relevante absolute Bauhöhe oder die tatsächliche Anzahl von Geschossen aus. Nach der aktuellen BauO NRW gibt es für findige Architekten ganz legal „Luft nach oben“, zum Beispiel mit Staffelgeschossen.

Die Angabe der „Grundflächenzahl“ ist hier irreführend. Mit der Grundflächenzahl (GFZ) wird in einem Bebauungsplan normalerweise angegeben, wieviel von einem Grundstück bebaut werden darf. Aber ohne Bebauungsplan richtet sich das Maß der bebaubaren Flächen nicht nach den in der Umgebung vorhandenen Grundflächenzahlen, sondern nach den tatsächlichen Gebäudeflächen, unabhängig von der Größe des Grundstücks auf dem sie stehen. Da können Grundstücke dann auch mal zugebaut werden und Gärten verschwinden. Auch das ist eine längst eingeleitete Entwicklung.

Der Vorschlag die Anzahl der „Wohneinheiten“ auf eine pro vollen 200m² Grundstücksfläche zu begrenzen führt zu einer Konstellationen, bei dem auf einem Grundstück von 1000m² fünf Wohneinheiten möglich wären. Von dem die Wohnviertel ursprünglich prägendem Modell, Haus mit Anbau, also maximal zwei Wohneinheiten, wird  damit Abschied genommen.

Freies Spiel der Kräfte

Am Ende werden die Wohngebiete sich von ihrem Charakter her grundlegend verändern. Das ist das Leben, aber die Möglichkeiten, stadtplanerisch die Attraktivität der Wohngebiete nicht nur zu bewahren, sondern mit Weitblick zu entwickeln, werden mit dieser Beschlussvorlage vergeben. Die Antwort auf den dringenden Bedarf an Wohnraum für Familien, sollen zukünftig Investoren geben. Aber die, wer kann es ihnen verübeln, haben nun einmal ihre eigenen Renditen im Blick. Und dafür werden sie auf einzelnen Grundstücken Mietwohnungen entwickeln, einfach weil das im Moment die höchsten und langfristigsten Renditen verspricht. In der Praxis werden junge Familien durch Investoren überboten und ausgestochen. Und das führt zu steigenden Mieten und Immobilienpreisen. Dadurch werden einkommensschwächerer Haushalte durch wohlhabendere Haushalte bzw. Investoren aus den Ortsteilen verdrängt. Das klassische Einheimischenmodell, für das sich die Freien Wähler vehement stark gemacht haben, wäre bei der Vergabe von kommunalen Grundstücken zumindest ein Gegengewicht gewesen, aber auch das hat die Bürgermeisterkoalition abgelehnt. 

von Thorsten Kasparek

Die Vorgeschichte: Kommentar: „Widdewiddewit, ich bau wie’s mir gefällt!“

Die links gehen zum Ratsinformationssystem der Stadt Hamminkeln: 

https://hamminkeln.more-rubin1.de/vorlagen_details.php?vid=20210411100191

https://hamminkeln.more-rubin1.de/vorlagen_details.php?vid=20211108100126

Logistikzentrum – Ja oder Nein ?

Im Hamminkelner Rat steht die Entscheidung an, nördlich der Autobahn einem schwedischen Modelabel den Betrieb eines Logistigzentrums, zur Lagerung und Verteilung seiner Produkte an den Endkunden, zu ermöglichen. In allen Fraktionen, der im Rat vertretenen Parteien, so auch bei den Freien Wählern der Isselgemeinden, ist also die Frage zu klären: Ist das zum Vorteil der Kommune und Ihrer BürgerInnen?

So einfach die Frage klingt, es verbirgt sich dahinter ein recht komplexes, politisches Problem und die Einflussmöglichkeiten der Politik sind in solchen Fragen eingeschränkt. Die Nutzung eines Grundstücks ist dem Eigentümer zunächst einmal freigestellt. Er kann einen Bauantrag stellen, der vom Bauamt in der Hamminkelner Verwaltung mit bestimmten Fristen zu bearbeiten ist, ansonsten drohen Gerichtsentscheide, die die Gültigkeit des Antrages festlegen. Das Bauamt in Hamminkeln ist eine sogenannte „untere Baubehörde“, die nicht dem Bürgermeister oder dem Rat untersteht, sondern die „obere Baubehörde“ ist der Vorgesetzte und die sitzt im Kreis Wesel.

Im Ausschuss und Rat wird auch über die Änderung des Flächennutzungsplanes abgestimmt – sie ist die Voraussetzung für die gewerbliche Nutzung einer Grundstücksfläche.

Daneben haben die Instanzen in Hamminkeln eigentlich nur die Möglichkeit  den Verkauf des Grundstücks zu beschließen oder abzulehnen, um das Logistikvorhaben zu fördern oder zu stoppen.

Logistikzentren werden gebraucht. Jedenfalls solange wir Konsumenten ungebremst das Internet zum Shoppen nutzen und die Lieferung der Waren innerhalb von Stunden erwarten. Der schwedische Interessent NA-KD zielt mit seinem Konzept darauf ab, Waren noch am gleichen Tag an den Kunden auszuliefern. 

Bei den Modelabels ist es ja üblich geworden, fast monatlich eine neue Kollektion auf den Markt zu bringen. Mit der angestrebten Größe des Zentrums von 100.000 qm, kann man sich vorstellen, welcher Anlieferverkehr in Hamminkeln herrschen wird und wie die Verkehrsinfrastruktur belastet und verschlissen wird. Wem nutzt dieses Zentrum eigentlich ?

Abgesehen von den Kunden, die sehr schnell beliefert werden, so denn die HamminkelnerInnen Fans von NA-KD werden, keinem so wirklich. 

Die Stadt Hamminkeln hat den Verkaufserlös für das Grundstück und erhält Teile der Grunderwerbsteuer. Sie ist eine Steuer, die das Land NRW erhebt und teilweise an die Kommunen weitergibt.

Das geht genau einmal – und die Frage ist, wie oft können wir solche Geschäfte noch tätigen ? Die Ressource Grund und Boden wird immer kleiner und mit der Größe der Flächenversiegelung – Nachhaltigkeit geht anders ! Investoren, die solche Projekte entwickeln, nutzen sie heute nicht mehr zum Zweck des Weiterverkaufs, sondern vermieten diese Objekte langfristig. Es bestätigt sich einfach immer wieder, dass Grund und Boden  wertbeständig ist, ja, mit Verknappung desselben, an Wert gewinnt.  Der Verkauf von Grundstücken auch durch die Stadt Hamminkeln ist damit zumindest zweifelhaft und kommt dem „Verscherbeln des Tafelsilbers“ gleich – langfristig ist das ökonomischer Nonsens.

In der Presse wurde auf die Gewerbesteuer angespielt, die die Stadt mit dem Logistikzentrum erheben müsste. Rechtlich gesehen ist das ein Irrglaube. Nach unserem Recht, wird die Gewerbesteuer auf Basis des Umsatzes berechnet, der am Standort entsteht. In Logistikzentren wird nur ein minimaler Umsatz generiert, da hier nur Waren gelagert und umgeschlagen werden – aber nicht verkauft. Der Verkauf findet gerade in Zeiten des Internethandels am Standort des Unternehmens statt und der ist nun mal Schweden.  Steuer- oder handelsrechtlich ist auch kein Grund zu sehen, warum das NA-KD anders gestalten sollte. Es gibt Beispiele dafür, dass sich Kommunen die Gewerbesteuer solcher Warenlager auf ihrem Territorium gesichert haben. Das erfolgt aber über Sondervereinbarungen zwischen dem Unternehmen und der Kommune. Die setzen dann aber voraus, dass das Unternehmen seine Geschäftsergebnisse offen legt und einen Berechnungsmodus erarbeiten kann, der die mit oder durch die Logistikstandorte erzielten Umsätze ausweist. Und die Finanzbehörde am Sitz des Unternehmens muss damit auch einverstanden sein.

Ohne die rechtlichen Verhältnisse und Konstrukte von NA-KD momentan zu kennen – die Gewerbesteuer als laufende Einnahme der Stadt Hamminkeln können wir vergessen.

Ein weiteres Interesse von Hamminkeln könnte die Schaffung von Arbeitsplätzen mit dem Zentrum sein. Noch vor 15  – 20 Jahren war es das Hauptargument für solche Logistikstandorte. Sie werden heute flächendeckend aber nicht mehr mit vielen Vollzeitkräften betrieben, Vorreiter war hier „Amazon“, das an seinen diversen Standorten  verstärkt auf Teilzeitarbeit, Aushilfskräfte und Minijobs gesetzt hat, die sich  entgeltlich am Mindestlohn orientieren. Hinzu kommt, dass  wir in Hamminkeln, wie in vielen Regionen kein großes Arbeitslosenproblem haben – Ökonomen sprechen in der gegenwärtigen Situation, in der selbst coronabedingt Entlassene andere Arbeit gefunden haben und in ihren ursprünglichen Branchen nicht mehr zur Verfügung stehen, von Vollbeschäftigung, ja Arbeitskräftemangel.

Wenn ich diese Argumente alle für mich bewerte, komme ich zu dem Schluss, das mit dem Logistikzentrum kein wirklicher Mehrwert für die Stadt Hamminkeln entsteht und würde, wenn ich darüber mit zu entscheiden hätte, gegen den Verkauf der Grundstücksfläche stimmen.

Siggi Colbatz

Der link geht zum Ratsinformationssystem der Stadt Hamminkeln: https://hamminkeln.more-rubin1.de/vorlagen_details.php?vid=20210411100192