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Schlagwort: Dingden

Kommentar: Wie das Dorf zur Stadt wird….

Die Ausgangslage – das Einfügungsgebot

Die Anwendung des Einfügungsgebots nach §34 BauGB führt in dem unbeplanten Innenbereich Dingdens bereits seit einiger Zeit zur Gentrifizierung der Lebensverhältnisse. Die Bürgermeisterkoalition aus SPD, Grünen, USD und FDP hatte sich in der 8. Sitzung des Rates(07/10/2021) mit ihrer Mehrheit gegen die Aufstellung von Bebauungsplänen entschieden. Das betrifft erst einmal nur die beiden Wohngebiete, die zur Diskussion standen. Die Entscheidung hat aber auch Signalwirkung für alle weiteren Gebiete, in denen alte Bebauungspläne gekippt werden oder in denen es nie welche gegeben hat. Zur Diskussion stehen im Moment 1. das Wohngebiet Nr. BO 2 „Am Friedhof“ in Dingden als auch 2. das Wohngebiet Bocholter Straße, Sachsenstraße, Berkenhegge, Kondringstraße und Paßter Weg. 

Zukünftig entscheidet die Verwaltung dort gemäß dem Einfügungsgebot §34 BauGB im Einzelfall. Die Ermessensspielräume sind natürlich größer als bei einem Bebauungsplan. Dazu hat die Verwaltung Parameter aus der vorhandenen Bebauung für zukünftige Entscheidungen abgeleitet und stellt sie nun im nächsten Planungsausschuss zur Abstimmung. Schauen wir uns den Vorschlag mal genauer an.

Die Entscheidungsparameter

Also die „Art der Nutzung“ soll vorwiegend dem Wohnen dienen. Eine genauere Bestimmung wird hier nicht vorgenommen. Nach dieser Aussage handelt es sich bei den betroffenen Wohngebieten wohl nicht um „reine Wohngebiete“, sondern um „allgemeine Wohngebiete“ nach der Baunutzungsverordnung. Der Charakter als Wohngebiet bleibt zwar erhalten, doch es gibt damit Spielräume für zukünftige Entwicklungen. Da kann dann ausnahmsweise  auch mal eine Nutzung möglich werden, die bisher noch nicht vorhanden ist wie zum Beispiel für ein Hotel oder eine Tankstelle.

Bei der „Bauweise“ werden Einzel- und Doppelhäuser genannt. Hinter dem Wort „Einzelhaus“ kann sich natürlich auch ein Haus mit mehreren Wohneinheiten verbergen, solange es einen Eingang hat. Das sehen wir ja bereits in diesen Wohngebieten. Und gerade diese Entwicklung war ja der Stein des Anstoßes für einige BürgerInnen.

Aber was ist mit den „überbaubaren Flächen“? Es gibt Reihenhäuser im 1. Bereich? Wird jetzt dort in Zukunft eine geschlossenen Bauweise überall möglich sein? Und was ist mit einer freistehenden Bebauung in 2. Reihe? Soll sie jetzt für den gesamten 2. Bereich ermöglicht werden? Das sind wichtige Fragen, die in der Beschlussvorlage offen gelassen werden.

Zum „Maß der Nutzung“ gehören mehrere Aspekte. Fangen wir mit der „Geschossigkeit“ an. Also, die Eingeschossigkeit gemäß BauO NRW entspricht zwar der Situation, aber letztendlich sagt der rechtlich definierte Begriff des Vollgeschosses nichts über die relevante absolute Bauhöhe oder die tatsächliche Anzahl von Geschossen aus. Nach der aktuellen BauO NRW gibt es für findige Architekten ganz legal „Luft nach oben“, zum Beispiel mit Staffelgeschossen.

Die Angabe der „Grundflächenzahl“ ist hier irreführend. Mit der Grundflächenzahl (GFZ) wird in einem Bebauungsplan normalerweise angegeben, wieviel von einem Grundstück bebaut werden darf. Aber ohne Bebauungsplan richtet sich das Maß der bebaubaren Flächen nicht nach den in der Umgebung vorhandenen Grundflächenzahlen, sondern nach den tatsächlichen Gebäudeflächen, unabhängig von der Größe des Grundstücks auf dem sie stehen. Da können Grundstücke dann auch mal zugebaut werden und Gärten verschwinden. Auch das ist eine längst eingeleitete Entwicklung.

Der Vorschlag die Anzahl der „Wohneinheiten“ auf eine pro vollen 200m² Grundstücksfläche zu begrenzen führt zu einer Konstellationen, bei dem auf einem Grundstück von 1000m² fünf Wohneinheiten möglich wären. Von dem die Wohnviertel ursprünglich prägendem Modell, Haus mit Anbau, also maximal zwei Wohneinheiten, wird  damit Abschied genommen.

Freies Spiel der Kräfte

Am Ende werden die Wohngebiete sich von ihrem Charakter her grundlegend verändern. Das ist das Leben, aber die Möglichkeiten, stadtplanerisch die Attraktivität der Wohngebiete nicht nur zu bewahren, sondern mit Weitblick zu entwickeln, werden mit dieser Beschlussvorlage vergeben. Die Antwort auf den dringenden Bedarf an Wohnraum für Familien, sollen zukünftig Investoren geben. Aber die, wer kann es ihnen verübeln, haben nun einmal ihre eigenen Renditen im Blick. Und dafür werden sie auf einzelnen Grundstücken Mietwohnungen entwickeln, einfach weil das im Moment die höchsten und langfristigsten Renditen verspricht. In der Praxis werden junge Familien durch Investoren überboten und ausgestochen. Und das führt zu steigenden Mieten und Immobilienpreisen. Dadurch werden einkommensschwächerer Haushalte durch wohlhabendere Haushalte bzw. Investoren aus den Ortsteilen verdrängt. Das klassische Einheimischenmodell, für das sich die Freien Wähler vehement stark gemacht haben, wäre bei der Vergabe von kommunalen Grundstücken zumindest ein Gegengewicht gewesen, aber auch das hat die Bürgermeisterkoalition abgelehnt. 

von Thorsten Kasparek

Die Vorgeschichte: Kommentar: „Widdewiddewit, ich bau wie’s mir gefällt!“

Die links gehen zum Ratsinformationssystem der Stadt Hamminkeln: 

https://hamminkeln.more-rubin1.de/vorlagen_details.php?vid=20210411100191

https://hamminkeln.more-rubin1.de/vorlagen_details.php?vid=20211108100126

Kommentar: „Widdewiddewit, ich bau wie’s mir gefällt!“

In Dingden macht sich Unmut breit, da Investoren Immobilien in Wohnvierteln erwerben, die bisher von Einfamilienhäusern geprägt waren und dort Mehrfamilienhäuser mit Staffelgeschossen bauen. Das verändert aus Sicht der betroffenen BürgerInnen nicht nur den Charakter der Viertel, sondern führt auch zu strukturellen Problemen wie zum Beispiel dem Verlust der Privatsphäre in den Gärten, einer verschlechterten Parkplatzsituation und in der Konsequenz sogar zum Wertverlust von Grundstücken.

Mit dem Integrierten Kommunalen Entwicklungskonzept (IKEK) „Zukunft Hamminkeln 2030+ | Unser Dorf | Unsere Stadt | Gestalten und Entwickeln“ wurde das Ziel formuliert die Attraktivität Hamminkelns als Wohnstandort zu erhalten, wenn möglich zu steigern und die gewachsenen Strukturen und Identitäten verschiedener Ortsteile im Stadtgebiet zu wahren. Die zu beobachtende Entwicklung steht aber im Widerspruch mit diesen Zielen der Stadtplanung, da die getroffenen Entscheidungen den Charakter der unterschiedlichen Wohngebiete verändern. Es mag vielleicht ein Bedarf an Mehrfamilienhäusern und barrierefreiem Geschosswohnungsbau vorhanden sein, aber Stadtplanung darf sich nicht allein von den ökonomischen Interessen der Investoren bestimmen lassen, frei nach dem Motto: Investoren haben einen Bedarf an Profit, die Stadt hat einen Bedarf an Geschosswohnungen also wird zusammen geführt, was zusammen gehört, dort, wo es rechtlich gerade möglich ist und Investoren Immobilien erwerben können.

Und rechtlich möglich ist es mittlerweile nicht mehr nur im unbeplanten Innenbereich, wenn die zuständige Verwaltung eine Baugenehmigung erteilt mit Hilfe des Einfügungsgebots nach §34 BauGB oder bei Neubaugebieten. Es ist mittlerweile auch in allen Ortsteilen Hamminkelns möglich, in denen es alte Bebauungspläne gibt, deren Wirksamkeit vor Gericht in Frage gestellt werden kann. In einem Urteil vom 16.02.2021 hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf der Klage eines Investors stattgegeben und den Bebauungsplan Nr. BO2 “Am Friedhof“ in Dingden für unwirksam erklärt wegen unbestimmten bzw. unbestimmbaren Sockel und Drempelhöhen (siehe Verwaltungsgericht Düsseldorf, 28 K 2377/19).  Das führt in der Konsequenz dazu, daß in dem Bereich des unwirksam gewordenen Bebauungsplans wieder Baugenehmigungen mit Hilfe des Einfügungsgebots erteilt werden können.

Dieser Einzelfall wird Schule machen bei den Investoren, wenn die Politik dem keinen Riegel vorschiebt. Sie reagiert zwar auf die Situation durch den Druck aus der Bevölkerung und fordert Bebauungspläne und Veränderungssperren, aber die letzteren können überhaupt erst erlassen werden, wenn ein Mindestmaß an planerischen Vorstellungen vorliegt und ein Aufstellungsbeschluss gefaßt wurde. Bebauungspläne als Instrument der Bauleitplanung alleine ersetzen kein fehlendes, stadtplanerisches Gesamtkonzept. Ganz im Gegenteil, je nachdem wie sie ausgestaltet werden, können sie die Probleme weiter verschärfen.

Eins ist zumindest durch die Proteste aus der Bürgerschaft klar geworden: Stadtentwicklung kann sinnvollerweise immer nur zusammen mit den BürgerInnen betrieben werden und sollte städtebaulichen Qualitätsmaßstäben entsprechen. Baugenehmigungen über das Einfügungsgebot nach §34 BauGB zu erteilen, darf nicht zum Mittel der Wahl werden. Eine transparente Bauland- und Immobilienentwicklung sowie Vergabe, muss neben den wirtschaftlichen Zielen vor allem auch den gesellschaftlichen Mehrwert in den Blick nehmen.

Eine Alternative zum Erlass von neuen Bebauungsplänen mit Veränderungssperren ist der Erlass einer Erhaltungssatzung nach §172 BauGB für alle betroffenen Bereiche, um Wohnraum zu schützen und die Eigenart der Viertel zu bewahren. Die Kommune könnte  dann in diesen Bereiche gezielt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen nach §24 I 4 BauGB, Grundstücke die zum Verkauf stehen erwerben und sie mit der Methode der Konzeptvergabe demjenigen veräußern, der nicht den maximalen Profit sucht, sondern der das beste Konzept zur Entwicklung des Wohnviertels vorweisen kann.

Wir müssen uns gedanklich nur mal vorstellen, wie  Hamminkeln in ein paar Jahren aussieht, wenn die Stadt Investoren überall Geschosswohnungsbau nach dem Zufallsprinzip ermöglichen würde. Im Zweifel werden die Stadt Hamminkeln und ihre Ortsteile dann das verloren haben, was sie einst attraktiv gemacht  hat.

von Thorsten Kasparek