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Schlagwort: Müllwiegesystem

Kommentar: Windelfreibeträge auf Attest

Reform der Windelentsorgung

Wenn Politiker von Reformen sprechen, bekomme ich in letzter Zeit immer Gänsehaut. Jetzt soll die Windelentsorgung in Hamminkeln reformiert werden. Bisher konnten Windeln an der zentralen Annahmestelle in Hamminkeln gebührenfrei abgegeben werden. Kostenpunkt für den Haushalt 25.000-30.000€ jährlich. Das System soll jetzt aber abgeschafft werden. Windeln werde zukünftig über den Restmüll entsorgt. Kostenpunkt für den Haushalt ca. 270000€ jährlich. Aber Moment, der Hausmüll wird doch gewogen? Das kostet dann doch extra?

Die Litanei von Gebührengerechtigkeit

Schauen wir dazu mal kurz in die Vergangenheit. Die Bürgermeisterkoalition aus SPD, Grünen, FDP und USD hatte sich mit Händen und Füßen gegen die Abschaffung des Wiegesystems gesträubt. Allen sachlichen Argumenten für die Abschaffung zum Trotz wurde immer wieder die Litanei der Gebührengerechtigkeit gesungen: Wiegen ist gerecht. Wer viel Müll macht, bezahlt viel. Wer wenig macht, bezahlt wenig. Okay, alles klar. Familien mit Kindern und Menschen mit Inkontinenz müssen dann zukünftig mehr bezahlen, wenn sie Windeln über den Restmüll entsorgen. Denn wer viel Müll macht, muss auch mehr bezahlen. Das ist doch richtig, oder? Nein, die Gebührengerechtigkeit für Familien mit Kindern und Inkontinente ist nicht gerecht, sagt jetzt die Bürgermeisterkoalition. Bei Windeln hört die Gebührengerechtigkeit auf. Auf den Punkt gebracht: Die bis dahin alternativlose Gebührengerechtigkeit ist nicht immer gerecht.

Antrag auf Windelfreibetrag

Die logische Folge ist, das Wiegesystem muss abgeschafft werden, aber nicht für alle. Nur für Haushalte die Windeln produzieren. Und das geht ganz einfach: Freimengen für Windeln. Familien mit Kindern und Inkontinente haben zukünftig einen Anspruch auf eine Freimenge. Für die müssen sie nicht bezahlen. Aber, und jetzt kommt das große Aber, die gibt es nur auf Antrag. Und ist man inkontinent, muss mit dem Antrag ein ärztliches Attest vorgelegt werden. Natürlich jährlich, könnte ja sein, dass die Inkontinenz nur vorübergehend war. Alles muss halt seine Ordnung haben.

Bürokratiemonster Windelfreibetrag

Mal im Ernst, hat schon mal jemand daran gedacht, daß sich der ein oder andere dafür schämt einer Behörde Auskunft über seine Inkontinenz geben zu müssen. Und wer bezahlt dann eigentlich die Atteste? Ist es datenschutzrechtlich überhaupt möglich solche Daten über BürgerInnen zu erheben? Mit einer Datenbank über inkontinente BürgerInnen, einer Verzehnfachung der Kosten, zusätzlichem Zeit- und Personalaufwand wird ein sinnloses Bürokratiemonster geschaffen. Das zeigt wieder einmal, daß ein kleiner Irrtum am Anfang am Ende ein großer wird. Anstatt auf den gesunden Menschenverstand zu hören und das Wiegesystem abzuschaffen, ist die Bürgermeisterkoalition der Ideologie von Gebührengerechtigkeit zum Opfer gefallen. Die Zeche dafür dürfen jetzt alle BürgerInnen zahlen.

von Thorsten Kasparek

Etwas ist faul im Staate Dänemark

Der alte Shakespeare scheint geahnt zu haben, dass menschliche Tollheit auch in niederrheinischen Lokalparlamenten zur Methode werden könnte, als er seinen Hamlet schrieb. Anders kann ich den Kleinkrieg unserer alteingesessenen Parteien, der in allen Medienkanälen geführt wird, zum Auszug der CDU-Fraktion aus der Ratssitzung am vergangenen Donnerstag nicht empfinden. 

Gut, es ist Bundeswahlkampf und jede, um Stimmen kämpfende Partei möchte sich von den anderen abheben. Auch die deutschen Volksparteien haben scheinbar aus den erfolgreichen Wahlkämpfen von Politikern wie Trump, Netanjahu, Orban und Erdogan ihre Lehren gezogen. Nicht eigener politischer Gedankenreichtum führt zum Erfolg, denn der setzt kluge Programme und Ziele voraus. Einfacher und erfolgreicher ist es, den „Konkurrenten im Stimmenfang“ herabzusetzen, zu diskreditieren, schlecht zu machen. Das konnten wir in der letzten Ratssitzung und in der darauf folgenden Presseberichterstattung leider auch beobachten. Insbesondere die FDP hat sich im Ton vollständig vergriffen und sich mit ihren hysterischen Hetzparolen endgültig als ernstzunehmende politische Kraft aus der Lokalpolitik Hamminkelns verabschiedet.

Aber was war eigentlich die Vorgeschichte? Die Fraktion der FWI hatte im November vergangenen Jahres im Rat den Antrag gestellt das gegenwärtige Müllwiegesystem einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Der Hintergrund war dabei nicht die Kritik um der Kritik Willen, sondern die Beobachtung, dass dieses System zu einem „Mülltourismus“ führt. Die Entsorgung des Mülls in den öffentlichen Mülltonnen oder am Straßenrand war nur einer von vielen negativen Effekten, die bei genauerer Analyse zu Tage traten. Der Zeitpunkt war genau richtig gewählt, da der Dienstleistungsvertrag mit dem jetzigen Entsorgungsunternehmen 2022 ausläuft und dessen Neuabschluss nach geltendem Recht europaweit ausgeschrieben werden muss. Deshalb sollte die Prüfung des Systems rechtzeitig erfolgen, um bei einem Systemwechsel Änderungen in der Ausschreibung einarbeiten zu können. Vorher allerdings musste die Diskussion zum Thema Wiegesystem zum Abschluss gebracht werden.

Und genau diese Möglichkeit ergab sich hier. Der vorausgehende Bauausschuss der Stadt Hamminkeln hatte daher vernünftigerweise einstimmig die Empfehlung ausgesprochen, das Thema prüfen zu lassen und nach der Sommerpause im Rat abschliessend zu diskutieren. In der Ratssitzung am Donnerstag wurde plötzlich von den Fraktionen der SPD, Grünen, FDP und USD ohne vernünftigen Grund darauf gedrängt sofort und ohne Diskussion über das Thema abstimmen zu müssen und den Prüfauftrag fallen zu lassen. Die CDU-Fraktion wollte hingegen weiterhin dem Vorschlag der FWI folgen und eine fundierte Prüfung in Auftrag geben und machte aus Protest mit ihrem Auszug den Rat beschlussunfähig. 

Politische Entscheidungen müssen nun einmal in regelmäßigen Abständen überprüft werden, um zu gewährleisten, dass sie dem Gemeinwesen noch von Nutzen sind. Das ist der demokratische Geist, der Wettbewerb der Ideen, der die PolitikerInnen in einer Demokratie im besten Fall zu leiten hat. Aber die SPD, Grünen, FDP und USD haben in diesem Fall ihre Verantwortung dem Gemeinwesen gegenüber mit Füßen getreten, aus billigem politischen Kalkül.

Dass die CDU mittlerweile den Ideen der FWI Beachtung schenkt, die aus der Mitte der Bürgerschaft kommen, oder sie zumindest einer Prüfung unterzieht, hat mir Respekt und Symphatie abgefordert. Es sollte immer um die beste Lösung gehen und nicht um die bequemste. Wer das Ehrenamt im Rat ausübt und gleichzeitig zu bequem ist, um sich im Sinne der BürgerInnen mit Themen auseinanderzusetzen, sollte sich lieber verabschieden und sich um das Amt eines Ehrenvorsitzenden irgendwo anders bewerben. Das Mittel, das die CDU zum Protest gewählt hat, ist allerdings genauso fraglich und diskussionswürdig wie das billige politische Kalkül der anderen Parteien. Demokratische Prozesse auf diese Art und Weise zum Stillstand zu bringen, darf immer nur Ultima Ratio sein. Es wäre schön gewesen, hätte sich die CDU mit demselben Elan für die grundlegenden Themen wie Haushaltskonsolidierung, vergünstigtes Bauland für junge Familien oder Senkung der Straßenbaubeiträge engagiert. So bleibt der bittere Nachgeschmack, daß nur eine populistische Nebelkerze geworfen wurde. Was sagt eigentlich der Parteivorsitzende der CDU in Hamminkeln dazu, der letztendlich die politische Verantwortung dafür trägt?

Doch ein Gutes hat das alles: der Auftritt der CDU hat die BürgerInnen aufmerksam gemacht auf den desolaten Zustand der Politik und die daraus erwachsene Machtfülle der Verwaltung. Wo wir Regeln und Beschlüsse nicht mehr hinterfragen oder politische Spiele zum Selbstzweck spielen, erzeugen wir nicht nur auf Landes- und Bundesebene, sondern auch im lokalen Politikbetrieb Stagnation und Stagnation ist letztlich Rückschritt. Noch einen Schritt weiter zurück und wir fallen in den Abgrund.

von Sigurd Colbatz